Was bringt eine Gruppeninventur in der Selbsthilfe?

Symbolbild: Uhren

Selbsthilfegruppen mit vielen Konflikten oder im Stillstand stehen vor der Frage: Soll die Gruppe aufgelöst werden oder lohnt sich eine Weiterentwicklung? Dozent Götz Liefert stellt die Methode „Timeline“ zur Gruppeninventur vor. Diese kann den Gruppenmitgliedern helfen, eine ehrliche Bilanz der gemeinsamen Zeit zu ziehen.
 
Ein gutes Vorsorgeinstrument und zugleich eine Methode, um bei Stillstand die Ursachen zu klären, sind regelmäßige Bilanzierungstreffen in der Selbsthilfegruppe (beispielsweise alle halben Jahre). Bei diesen untersucht die Gruppe gemeinsam, wie es gerade läuft, wo es hakt und was sie braucht, um sich weiterzuentwickeln.

Sich regelmäßig Zeit zu nehmen und die bisherige Arbeitsweise, die Rollen- und Aufgabenverteilung und die Ziele neu zu reflektieren birgt viele Chancen und Potenziale für die Arbeit in der Selbsthilfegruppe. Eine besonders lebendige Methode, die wir auch im Workshop der Selbsthilfeakademie Sachsen kennenlernen werden, ist die sogenannte „Timeline“. Die Arbeit mit der Timeline kann Selbsthilfegruppen neue Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen und damit helfen unliebsamen Entwicklungen entgegenzuwirken.

Prozessanalysen in Gruppen – die Arbeit mit der Timeline

Die Arbeit mit der Timeline eignet sich im Besonderen, um Prozesse in größeren und kleineren Gruppen sichtbar zu machen und auszuwerten. Hierzu legen alle Beteiligten anhand einer Zeitlinie (vielleicht ein roter Faden, der mitten im Raum ausgelegt wird und z.B. die letzten drei Jahre eines Gruppenprozesses andeutet) Symbole, Postkarten, Puppen oder andere Gegenstände aus, die für jeweils wichtige Aspekte und Momente des gemeinsamen Prozesses stehen. Anschließend wird die Geschichte dieses Prozesses erzählt. Daran anknüpfend können bei Bedarf zentrale Themen und Fragen vertieft werden.

Beispiel: Männerselbsthilfegruppe

In einer Männerselbsthilfegruppe läuft es nicht mehr so richtig. Um zu überprüfen, wo die Gruppe steht und ob es noch Sinn macht, neue Energie zu investieren, spricht die Gruppe einen professionellen Selbsthilfeunterstützer an. Er soll zur Klärung dieser Fragen einige Sitzungen moderieren. Um allen einen Überblick über den Gruppenprozess zu verschaffen, sollen die Männer diesen mittels einer Timeline für die letzten zwei Jahre abbilden.

Nach anfänglicher Vorsicht und Skepsis lassen sich die Männer erstaunlich viel Zeit beim Finden und Auslegen der passenden Symbole. Auch die dann folgende Wiedergabe der Gruppenhistorie aus der Sicht der einzelnen Männer wird sehr berührend und intensiv. Es stellt sich heraus, dass die Gruppe in den letzten zwei Jahren sehr viele spannende Themen bearbeitet und darüber hinaus auch außerhalb der Gruppenabende viel miteinander erlebt hat. Die Teilnehmer sind erstaunt darüber, wie sehr jedes einzelne Mitglied dies in seinen Beiträgen würdigt.

Die vermeintlich karge Bilanz wird so zur Dokumentation eines beeindruckenden Gruppengeschehens. Am Ende dieser Sitzung ist allen Männern klar, dass es nicht darum gehen kann, die Gruppe zu Grabe zu tragen. Vielmehr benötigt es einen Weg, die vielen positiven Energien auch weiterhin nutzbar zu machen.

Wie läuft die Methode „Timeline“ ab?

1.    Nachdem die gesamte Gruppe die Bereitschaft zu einer Prozessanalyse gezeigt hat, verständigen sich alle zum zu untersuchenden Zeitraum.
 
2.    Die Teilnehmenden werden aufgefordert, aus dem ausliegenden Bestand an Symbolen und anderen Gegenständen drei bis fünf Dinge auszuwählen, die für sie wichtige (positive wie negative) Aspekte des vorher definierten Prozesses darstellen. Dabei ist die Anzahl der auszuwählenden Gegenstände abhängig von der Größe der Gruppe und der vorhandenen Zeit.

3.    Die Teilnehmenden legen alle für sich die ausgewählten Gegenstände an die Stelle der Zeitlinie, an welcher der damit verbundene Aspekt am besten zum Ausdruck kommt. Dabei kann die Leitung auch die Möglichkeit einräumen, die Gegenstände oberhalb der Zeitlinie (positiv empfundener Aspekt) oder unterhalb der Zeitlinie (eher negativ oder schwierig empfundener Aspekt) abzulegen. Zur besseren Orientierung auf der Timeline können Zeitmarkierungen wie Jahreszahlen dienen.

4.    Die Geschichte des Prozesses wird erzählt. Die Teilnehmenden kommen dabei in der Reihenfolge der ausgelegten Gegenstände zu Wort und schildern ihre jeweilige Sichtweise dazu. In dieser Phase gilt es, den Prozess als Ganzes wahrzunehmen und zu verstehen. Deshalb sind Verständnisfragen erlaubt, längere Debatten sollte man in dieser Phase eher unterbinden.

5.    Nun besteht die Möglichkeit, deutlich gewordene Schwerpunkthemen des dargestellten Prozesses im Dialog weiter zu vertiefen und zu bearbeiten.


Der Autor: Götz Liefert ist Diplompädagoge und Supervisor mit langjähriger Erfahrung in der Arbeit mit Selbsthilfegruppen.


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