Die Arbeit im Vorstand einer Selbsthilfeorganisation umfasst ein breites Spektrum an Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Jana Schmalisch engagiert sich bereits seit einigen Jahren als Vorsitzende des Landesverbands Sachsen der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew. Im Interview erzählt sie, welche Aufgaben das mit sich bringt und wieso Selbsthilfe für sie so wichtig ist.
Frau Schmalisch, wie sind Sie selbst zur Selbsthilfe gekommen?
2009 hat sich mein Leben plötzlich verändert: Durch eine chronische Diagnose und schwere Operationen wurde ich von einem Tag auf den anderen schwerbehindert. Plötzlich war da viel Unsicherheit – was wird aus meinem Leben und meinem Lebenstraum? Mitten in dieser Hilflosigkeit bekam ich zufällig einen Flyer in die Hand mit Angeboten der Selbsthilfe. Das war der Schlüssel zu meinem heutigen, positiven Weg mit meiner chronischen, entzündlichen Diagnose. Ich habe zahlreiche Schulungen und Seminare besucht und dabei gelernt, was Selbsthilfe bedeutet. Vor allem habe ich erfahren, dass man mit Selbsthilfe viel Hilfe für sich selbst gestalten kann.
Das heißt, Sie sind zufällig in die Selbsthilfe hineingerutscht?
Ja, eigentlich schon. Doch wenn ich ganz zurückdenke, dann wurde mir das Ehrenamt und die Selbsthilfe tatsächlich schon etwas „in die Wiege gelegt“. Meine Großmutter leitete ein Kultur- und Schulungszentrum und war damals besonders im Bereich der Handarbeit mit blinden Menschen und anderen Beeinträchtigten aktiv. Ich selbst habe aber erst nach meiner Diagnose bewusst erkannt, dass mir dieses Engagement auch viel Spaß und Freude bereitet. Inzwischen leite ich seit einigen Jahren den Landesverband und bin im Frauen- und Jugendnetzwerk des Landesverbandes aktiv.
Welche Aufgaben haben Sie dort?
Ich sage immer: Ich bin der „Captain unseres Schiffes“ und leite unser großes Team der zahlreichen Ehrenamtlichen in den Gruppen und im Landesverband. Das heißt, ich trage Verantwortung für die strategische Ausrichtung, für Sichtbarkeit, Öffentlichkeitsarbeit, Aufklärung, aber auch für ganz praktische Dinge wie die Finanzierung, Veranstaltungen sowie die Vertretung gegenüber der Gesellschaft und dem Gesetzgeber.
Das klingt nach einer Menge Arbeit. Wie viel Zeit investieren Sie ins Ehrenamt?
Es ist schon eine ganze Menge manchmal. Doch man darf sich das nicht wie einen Vollzeitjob vorstellen, denn es ist ein Ehrenamt, was man aus Freude und eigener Motivation macht. Wir haben einige Vorstandssitzungen, mehrere Schulungen und verschiedene Veranstaltungen. Im Schnitt sind es etwa 20-30 Stunden im Monat. Und das Schöne am Ehrenamt ist, dass sich jeder nach seinen Möglichkeiten und Kompetenzen einbringen kann. Jeder Beitrag ist unglaublich wertvoll, denn Ehrenamt und Selbsthilfe verbindet.
Was macht für Sie eine gute Vorstandsarbeit aus?
Drei Dinge:
- Erstens, ein Vorstandsteam sollte (s)eine Meinung haben, sie vertreten und auch dazu stehen.
- Zweitens, Motivation – zu wissen, warum man das tut: um anderen zu helfen und gleichzeitig selbst dafür Wertschätzung zu erfahren.
- Und drittens, Sichtbarkeit schaffen und Aufklärungsarbeit leisten. Dabei geht es nicht vorrangig darum, neue Mitglieder zu gewinnen, sondern darum, dass Menschen schneller Unterstützung finden und mit ihren Sorgen zur Diagnose nicht mehr allein sind.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Selbsthilfe?
Dass wir beweglich bleiben. Die Welt verändert sich und wir müssen uns in der Selbsthilfe mit verändern – offen bleiben z.B. für digitale Formate. Wir sollten junge Menschen in unsere Ideen mit einbeziehen und die Vielfalt zulassen. Und: mehr gesellschaftliche Anerkennung für ehrenamtliche Vorstandsarbeit. Wir Ehrenamtler*innen opfern viel Freizeit und unzählige Urlaubstage für unser Engagement, doch auch das hat Grenzen. Kleine Gesten der Wertschätzung sind wichtig, um diese Arbeit langfristig tragen zu können und weitere motivierte Engagierte zu finden.
Und ganz persönlich: Was bedeutet Selbsthilfe für Sie?
Selbsthilfe ist für mich ein Werkzeugkoffer. Wenn eine neue Herausforderung auf dem Weg mit meiner Diagnose auftaucht oder ich eine Auszeit benötige, dann weiß ich, wo ich hineingreifen kann: in meinen Schatz von Erfahrungen, auf das Wissen anderer, zu Übungen, die ich bei Seminaren erlernt habe und die mir helfen. Es ist ein großer, bunter Strauß an Möglichkeiten – und die Gewissheit mit meinen Sorgen und Nöten nicht allein zu sein.
Das Interview führte: Mandy Fleer, Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit in der Selbsthilfeakademie Sachsen.